1. Johannes

Reduktion und Abstraktion

Die Johannesbriefe haben zwei charakteristische Merkmale im Vergleich zu den paulinischen Briefen:

  1. Reduktion: Bei Johannes ist das zentrale Thema das Wesen Gottes: Licht, Liebe und Leben: Johannes sieht den wiedergeborenen Christ ausschließlich als ein neues Geschöpf, das „aus Gott geboren“ ist und damit auch Teilhaber der Natur Gottes ist. Bei Johannes wird also die Sicht auf die göttliche Natur im Gläubigen reduziert und dementsprechend kann der Gläubige nur das tun was dem Wesen Gottes (Licht, Liebe, Leben) entspricht. Beispiel 1. Johannes 3,9
  2. Abstraktion: Johannes formuliert abstrakte Wahrheiten bzw. Grundsätze. Diese theoretischen Grundsätze sind aufgrund ihrer Abstraktion logisch und absolut. Dabei bleiben Anwendungsfälle, Nebenaspekte oder Veranschaulichungen aus der Glaubenspraxis unberücksichtigt. Beispiel 5,12.

Der Begriff „Gebot“

Der Begriff Gebot bezieht sich im Johannesbrief definitiv nicht auf das mosaische Gesetz. Ein Gebot ist grundsätzlich eine Willensäußerung Gottes, das heißt ein Wort Gottes. Weil das Wort von von Gott ist, besitzt dieses Wort göttliche Autorität und hat damit immer auch den Charakter eines Gebots.

Die Worte Gottes, die zum Beispiel Jesus Christus in den Evangelien gelehrt hat, wird das als „altes Gebot“ bzw. als „seine Gebote“ bezeichnet (siehe Versauslegung).

Der „alte Gebot“ ist nicht ein spezielles Gebot, sondern umfasst alle Willensäußerungen bzw. Worte Gottes, die die Empfänger des Briefes gehört haben und zwar von Jesus Christus selbst: „das Wort das ihr gehört habt“.

„Seine Gebote“ bzw. „sein Gebot“ sind all die Worte Gottes, die speziell Jesus Christus uns mittgeteilt und gelehrt hat in den Evangelien. Der Kern seiner Botschaft ist die Liebe, insbesondere die Nächstenliebe, Bruderliebe und die Liebe zu Gott.

Das „neue Gebot“ schreibt Johannes. Auch hier ist der Kern der Botschaft die Liebe, insbesondere die Liebe zu den Glaubensgeschwistern. Aber weil diese Botschaft im Kern bereits Christus lehrte, ist dieses „neue Gebot“ nicht wirklich neu: „nicht ein neues Gebot schreibe ich euch“.

Der Begriff „Gesetzlosigkeit“ anomia bezieht sich nicht auf das mosaische Gesetz. Dieser Begriff bedeutet also weder die Übertretung des Gesetzes noch das Befreitsein vom mosaischen Gesetz. Ein wiedergeborener Christ steht ohnehin nicht „unter Gesetz“.

Wer „die Sünde harmatia tut“, tut nicht den Willen Gottes und verfehlt damit das Ziel (harmatia = Ziel-Verfehlung). Wer den Willen Gottes nicht beachtet, tut die Gesetzlosigkeit gemäß Johannes.

Die Gesetzlosigkeit ist also die eigenwillige Missachtung und Verneinung des Willen Gottes und damit das Wesen und Prinzip der Sünde selbst. Dieses Prinzip der Sünde wird als Gesetzlosigkeit bezeichnet.

Gesetzlosigkeit ist also nicht eine Gebotsübertretung, sondern die grundsätzliche Verneinung des Willens Gottes und entspricht auch dem Wesen der Sünde.

Es geht hier um eine Aufforderung an die Gläubigen, sich zu lieben gemäß der Liebe Gottes [agape]. Diese Liebe [agape] ist aus Gott und ist sogar das Wesen Gottes selbst: Vers 8.

Das bedeutet, ein Mensch kann diese Liebe nur dann haben, wenn er aus Gott geboren ist und dadurch das Wesen Gottes [agape] selbst besitzt. Folgerichtig bedeutet dies, der mit der Agape „Liebende“ [Grundtext] ist logischerweise aus Gott geboren.

Ein solcher Mensch „erkennt“ Gott aufgrund der Wesensgleichheit. Ein Wesen kann nur ein anderes Wesen verstehen, wenn es dessen Natur hat. Diese Erkenntnis ist eine tiefe Einsicht aufgrund desselben Wesens.

Johannes untermauert diesen praktischen Appell mit der Wesensgleichheit eines aus Gott geborenen Menschen und Gott selbst.

Der Ausdruck „wer nicht liebt“ beschreibt nicht das situative lieblose Verhalten eines wiedergeborenen Christen, sondern umschreibt die Abwesenheit des Wesens Gottes.

Die Liebe [apape] ist das Wesen Gottes. Ein Mensch der grundsätzlich nicht mit der Liebe Gottes [agape] liebt, hat gemäß der johanneischen Logik folgerichtig das Wesen Gottes nicht. Dieser Vers ist damit ein logischer Umkehrschluss von Vers 7.

Dieser Mensch hat also „Gott nicht erkannt„. Das heißt ein solcher Mensch hat keinerlei Erkenntnis Gottes, denn dafür bräuchte er das gleiche Wesen wie Gott, er müsste also aus Gott geboren sein.

„Sünde zum Tod“ ist ein Sachverhalt der nur wiedergeborene Christen betrifft. Dies wird durch die brüderliche Fürbitte deutlich: „wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht…“

Jede Sünde führt zum ewigen Tod, das heißt zur ewigen Verdammnis des Menschen (=ewige Gottesferne). Dem wiedergeborenen Christ sind jedoch alle Sünden durch den Glauben an Christus vergeben!

Der hier erwähnte Tod ist der physischen Tod eines wiedergeborenen Christen. Diesen physischen Tod führt Gott herbei als drastischste irdische Erziehungs- bzw. Strafmaßnahme für seine Kinder.

Mit Sünde zum Tod ist also nicht eine bestimmte Sünde gemeint, die nicht vergeben werden kann und zur ewigen Verdamnis führt. Sünde zum Tod ist sündiges Fehlverhalten eines wiedergeborenen Christen, das Gott in diesen spezifischen Umständen mit dem körperlichen Tod ahndet.

Des weiteren heißt es ist es nicht die Sünde zum Tod, denn es werden hier keine bestimmten Sünden genannt, sondern es ist Sünde zum Tod (ohne Artikel!) dem Charakter nach.

Sünde, Buße und Erziehung (Zucht)

Wenn ein wiedergeborener Christ sündigt, ist der biblische Korrekturprozess die sogenannten Buße. Buße bedeutet Erkenntnis, Bekenntnis und Unterlassung der Sünde.

Es gibt drei erzieherische bzw. richtende Instanzen mit Eskalationsstufen, die den wiedergeborenen Christ zur Buße führen sollen:

  1. Selbstgericht: Ein Christ hat die Möglichkeit durch Selbstgericht die Sünde zu verurteilen und zur Buße zu gelangen.
  2. Erziehung seitens der Gemeinde Gottes (Gemeindezucht): Es gibt verschiedene Eskalationsstufen der Gemeindezucht, die einen Christ zur Buße bringen sollen.
  3. Erziehung seitens Gottes: Gott greift auf unterschiedliche Weise ein, um den Gläubigen zur Buße zu führen, z.B. Schwäche, Krankheit und schließlich Tod.

Das Ziel jeder Erziehungsmaßnahme ist immer die Umkehr und Wiederherstellung.

Sünde und Verhärtung

Für den Fall, dass keine Bereitschaft zur Buße (unbußfertiges Herz) vorliegt, gibt es entsprechende Eskalationsstufen in den Erziehungswegen von Seiten der Gemeinde und von Seiten Gottes.

Es ist anzunehmen, dass mit Sünde zum Tod eine gewisse Verhärtung des Herzes einhergeht, das heißt eine fehlende Bereitschaft zur Buße. Wenn alle Eskalationsstufen fehlschlagen, kann der körperliche Tod unter gewissen Umständen die letzte und drastischste Maßnahme Gottes sein.